Tag 31: Mit letzten Kräften

Ich bin seit 29. Juli viele lange und kürzere Tage gegangen, rauf und runter, steil und flach, selten durch Regen, des öfteren durch Hitze, über Almwiesen und Klettersteige. Doch diese Woche war einer der zachsten Tage der gesamten Wanderung.

Die Ankunft am Donnerstag den 27.08. in Maria Alm, Tag 30 meiner Tour, war sehr erleichternd. Insgesamt 9 Stunden Gehzeit mit 2.200 Höhenmeter Abstieg über einen ausgesetzten alpinen Steig habe ich ziemlich gespürt. Eigentlich wollte ich ja oben bleiben und vom Hochkönig übers Steinerne Meer, aber bis zum Wochenende waren alle Hütten ausgebucht.

Ich genoss am Abend noch das örtliche Schwimmbad (mit wenig Bewegung) und war noch gut essen im Gasthof Waldhaus. Als ich dabei am Weg € 50,- aus meiner Hosentasche verloren habe, war mir bewußt, ich bin müde. Auch zu müde, um mich zu ärgern. Es hat sich sicher jemand darüber gefreut. Stattdessen freute ich mich über den wunderbaren Daunenpolster in meinem Bett.

Freitag Früh, Tag 31, merkte ich, dass die Erholungsphase diesmal zu kurz gewesen war. Es standen wieder annähernd 9 Stunden am Programm und ich musste das Steinerne Meer wegen der überfüllten Berghütten im Tal umgehen. Das bedeutete zunächst 4 Stunden entlang eines Radwegs über Saalfelden Richtung Lofer, bevor mich laut Karte ein Steig wieder in die Berge brachte. Tagesziel Hirschbichl, eine ehemalige Grenzstation zu Bayern.

Vorerst gings zügig durch schöne Orte mit schönen Häusern und direktem Gletscherblick auf Kaprun. Ich nutzte die Zeit für Telefonate mit Freunden, um mich während des Straßenhatschers etwas abzulenken.

Die 4 Stunden vergingen überraschend schnell, doch merkte ich auch, wie sehr das schon die wenigen Kräfte aufgezehrt hatte. Ich kam zur Abzweigung zum Steig und sah das Schild „Dießbachsteig – Alpiner Steig – Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erforderlich“. Nicht schon wieder! Auch wenn mir so etwas prinzipiell sehr gefällt, war ich gerade nicht in der Stimmung und Verfassung dafür. Mit Überwindung startete ich den Aufstieg, bewußt langsam. In den Felsen kamen dann kleine Kletterpassagen und ich plagte mich sehr bei jedem Schritt in der inzwischen starken Mittagssonne. Wieder begann ich, mich mit dem wandernden GPS-Punkt zu motivieren.
Gefühlt war ich ewig unterwegs bevor der Steig flacher wurde und an einem kleinen See sein Ende hatte. Ich erfrischte mich mit dem Wasser von den Haaren bis zu den Beinen und sammelte Energie für die restlichen 3 Stunden, die es noch dauern sollte.

Ein paar Höhenmeter oberhalb doch abseits meines Weges war die Kallbrunnalm mit einigen Almhütten. Hingehen oder nicht? Jeder Meter extra war mir gerade zuviel.
Na gut, die Chance auf eine bewirtschaftete Hütte zog mich hin. Ich steuerte weglos direkt über die steile Almwiese auf die nächste Hütte zu und fragte, wo ich etwas zu trinken bekommen würde. „Jo bei mia kriagst eh wos“, sagte die Wirtin. Es war ein herrliches Berchtesgadener Bier.
Die 70-jährige Bäuerin Christa erzählte, dass sie schon seit Kindheit jeden Sommer hier heroben sei und es früher oft solche Sommer gegeben habe. Sie erzählte, wie sehr es ihr gefalle, welch guten Ideen die Jungen hätten und wie gerne sie Neues ausprobiere, das ihr ihre Söhne zeigten. Später beim Gasthof Hirschbichl erfahre ich erst, dass Christa letztes Jahr einen Herzinfarkt auf der Alm hatte und es durchaus knapp für sie war. Ich war wirklich sehr überrascht. So eine lebenslustige, fit wirkende Frau in bester Plauderlaune habe ich da getroffen. Toll!

Christa erzählte mir beim Abschied, dass es jetzt nur mehr eben zum Hirschbichl ginge und ich hoffte, das nun noch gut zu schaffen. Doch die Energie war einfach weg. Immer öfter nutzte ich das GPS, um mich mit jedem noch so kleinen Fortschritt zu motivieren, am Ende schon im 5 Minuten Rythmus. Ich sprach schon regelmäßig laut vor mich hin: „Ich komme an!“ Nach zwei weiteren Stunden mit den gefühlt letzten Kräften erreichte ich Hirschbichl. Eine äußerst warmherzige Margit begrüßte mich mit Händedruck (sehr unüblich bisher) und zeigte mir das Zimmer. Fröstelnd von der Anstrengung holte ich mir Energie von einer guten Suppe. Um 20 Uhr war ich im Bett und schlief durch bis 07 Uhr früh.

  • Maria Alm verlassend mit Blick Richtung Lofer. Hinten rechts geht's über den Dießbachsteig.

Der nächste Tag entschädigte mich für diese Anstrengungen mehr denn erwartet. In leichtem Abstieg vorbei an den schönen Leimbichlgräben und schönen Almen gings sehr gemütlich mit viel Zeit nach Lofer. Bei einer langen Pause auf der leeren Kematsteinalm fühlte ich mich wie auf meiner eigenen Alm, mit traumhaftem Blick auf die Loferer Steinberge. Nach einem kurzen Mittagessen im schönen Knappenstadl war es nur mehr ein kurzer Aufstieg nach Loderbichl, wo ich die Panorama-Terrasse sehr genoss.

6 thoughts on “Tag 31: Mit letzten Kräften

  1. Lukas Ofner-Reßler

    Lieber Tom,
    Ich denke oft an dich und die großartige Leistung,die du gerade vollbringst! Die gewaltige Strecke fordert schon Tribut, doch ich bin sehr zuversichtlich, dass du an deinem Ziel ankommst. Ich denke, auch daß Näherkommen deines „seelischen “ Ziels wird einen Beitrag zu deinen „schweren Beinen“ leisten… Keep on ruhig oder vielmehr hiking! Alles Liebe, Lukas

  2. Margit Hämmerle

    Lieber Tom,nun hasst Du es bald geschafft ! Gigantisch was Du Dir hier vorgenommen hast ! Nun bist Du bald am Ziel ! Toi toi toi ! Liebe Grüsse Margit

  3. Klaus Kometer

    Hallo Tom,
    offenbar bin ich auf einer ähnlichenHeimreise wie Du (Wien -Kempten) vor ein paar Wochen (Nordalpenweg). Auch ich musste umdisponieren (Riemann-Haus hatte wegen Umbau keine Betten) und bin gestern nach 29 Tagen Wanderung an den Dießbachsteig geraten. Der hat mir dermaßen den Zahn gezogen, dass ich mal googeln wollte, wie denn der Rest der Welt den (eigentlich schönen) Weg so einstuft. Und siehe da, ich hab deinen Blog gefunden und einen Leidensgenossen dazu. Erstmal herzlichen Glückwunsch, dass Du es nach Hause geschafft hast und noch ein Tipp an alle anderen: Den Dießbachsteig bitte nur ausgeruht laufen!
    Gruß,
    Klaus

    1. Tom Felder Post author

      Hallo Klaus,
      das ist ja eine schöne Überraschung, hier noch einen neuen Kommentar zu bekommen :)
      Danke für die Glückwünsche! Ich hoffe, du bist auch gut zu Hause angekommen.

      Ja, ich erinnere mich sehr gut an den Steig und die lange Umgehung vom Riemannhaus. Pfuh, das war was…
      Ich bin inzwischen letztes Jahr den Steig ausgeruht nochmals gegangen (Start in Diesbach im Tal, bis zum Ingolstädter Haus inkl. Hundstod), und der Steig war wunderbar. Eine schöne Versöhnung :)

      Liebe Grüße und alles Gute für all deine Touren
      TOM.

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