In den vielen Jahren meiner Bergerfahrung habe ich eindrücklich gelernt, dass Sätze wie „Jetzt sind wir bald am Ziel, da kann uns nicht mehr viel passieren“ am Berg (und nicht nur dort) besser nicht gesagt werden sollten. Zu oft erlebte ich schon kurz vorher unerwartete Überraschungen oder Situationen, die noch volle Aufmerksamkeit oder Flexibilität erforderten.
Natürlich freute ich mich vor ein paar Tagen, Kufstein und erstmals das Inntal zu sehen. 90 Prozent der Tour und über 600 km lagen bereits hinter mir. Doch hütete ich mich vor dem Gedanken „Geschafft!“. Es reicht eine einzige Situation, um den Plan noch wesentlich zu verändern. Und so leicht scheint mich Tirol offensichtlich nicht nach Innsbruck zu lassen, so nach dem Motto „Bei Schönwetter ist es leicht“ (ich bilde mir auch ein, dabei noch leise gehört zu haben „Schaung ma amol, wia du iatz damit umgeasch.“)
Die Umstellung begann in Hinterthiersee mit dem Sturm und Regen am Abend. Da war ich noch froh, am nächsten Tag nur eine kurze 4 Stunden-Etappe bis zum Kaiserhaus zu haben. Nach mittlerweile mehreren 9 Stunden-Etappen hintereinander und dem letzten Pausentag in Gosau war ich auch schon dementsprechend müde und freute mich auf einen entspannten Nachmittag. So machte ich mich im Regen auf den Weg.
Kurz vor dem Ziel liegt die eindrucksvolle Kaiserklamm, ein in jahrzehntelanger Arbeit gemachter handbehauerner Steig im Fels, von dem aus das Holz auf der Ache talwärts getrieben wurde. Den wollte ich mir unbedingt ansehen, am Nachmittag ohne Rucksack. Doch zuerst wollte ich die Unterkunft klären.
Als ich im schönen Kaiserhaus ankam, erfuhr ich, dass alles voll belegt sei – mit Jagdgästen. Die nächste Unterkunft sei in Pinegg, 20 Minuten von hier.
Na gut. Nach einer kleinen Stärkung die Überlegung, ob ich mir jetzt noch schnell die Klamm ansehen soll, denn 25 Minuten würde ich dann nicht mehr zurück gehen. Ich entschloss mich abermals zuerst die Unterkunft zu klären. Das hat Priorität.
In Pinegg angekommen war der einzige Gasthof ebenfalls voll belegt. Die nächste Option in meiner Wegrichtung wäre Steinbach am Rofan. Das bedeutete 3 Stunden weitergehen.
Nach drei Telefonaten hatte ich dort zumindest ein Zimmer bekommen. Sehr nach dem Sinn dieser unerwarteten Situation suchend machte ich mich widerwillig auf den Weg. Es war somit ganz klar kein Pausentag mehr sondern wieder ein 7 Stunden-Tag.
In Steinbach kam ich sehr müde an. Den ganzen Tag war ich im Regen und ständig auf Forststrassen unterwegs und ich war ja seelisch auf einen Halbtag eingestellt gewesen. Der Mobilempfang war so schlecht, dass ich kein Internet nutzen konnte. Somit war es mir nicht möglich, die weiteren Routenoptionen und den Wetterbericht zu klären. Meine Vermieterin meinte, es gäbe auch einen vierstündigen Übergang direkt zum Achensee. Also eine Option für wirklich schlechtes Wetter. Gut zu wissen! Doch dieser erwies sich als unbrauchbar, weil er an die entfernte Nordseite des Sees führt.
Im einzigen Gasthof in der Gegend gab es zum Glück WLAN und ich nutzte das Abendessen zur Routenplanung. Mein geplanter Weg wäre direkt über den Rofan zur Erfurter Hütte, doch dann müßte ich über einen Steig am Gipfelgrat, der bei Nässe gefährlich sei. Oder den Grat umgehen und mit einem zusätzlichen Stopp auf der Bayreuther Hütte zwei Tage daraus machen? Wann aber mache ich endlich den Pausentag? Zwei Tage im Ort in der Pension zu bleiben war wenig attraktiv, zumal auch am nächsten Tag das Wetter etwas besser angesagt war.
Mir fiel es aufgrund der Müdigkeit schwer, mich zu entscheiden, es gab auch zu viele Einflussfaktoren. Doch mir war wichtig, noch ein paar Minuten länger dran zu bleiben, um eine Lösung zu finden, mit der ich zufrieden sein konnte. Schließlich entschied ich mich für die Bayreuther Variante. Zwei Halbtage sind auch erholsam und ich kann die angekündigten Regenpausen nutzen, um ein Stück weiter zu kommen.
Bisher hat diese Variante wie geplant funktioniert, bin jeweils trocken in den Hütten angekommen und hatte soeben auf der Erfurter Hütte mein erstes Nachmittagsschläfchen der Tour.
In den nächsten Tagen wird sich weiter zeigen, wie sehr sich Tirol bemüht, mich im Finale noch zu beschäftigen. Kommt der angekündigte Schnee bis auf 1.700 m? Zwei anspruchsvollere Übergänge über 2.000 m habe ich noch zu passieren.
Ich nehme die Herausforderung an!
Die letzten paar Meter (Kilometer) packst du auch noch! Ich liebe Tirol, aber es scheint echt ein Gfrastsackl zu sein.
Hallo Tom!
Nach vielen anstrengenden Tagen hält deine Heimat einige Prüfungen für dich bereit – es wird also nochmal so richtig spannend…
Auch wenn es jetzt doppelt schwerfällt: Bleib bei dir und bleib damit im Fluss – der Flow wird auch auf den letzten Etappen für gute Lösungen sorgen.
Geh einfach weiter. Die Kraft ist mit dir!
LG, Peter
Den letzten Satz mag ich!
Den haben zwar vor 100 Jahren auch die Herausgeforderten bei einem Duell gesagt, aber hier geht es ja nicht um „Du Oder Die Natur“ sondern um „Du Und Die Natur“!
Er erinnert mich aber auch ein bisserl an Karl Kraus (allerdings die Wiener betreffend ;-) ):
Der Wiener zu seinem Schicksal: „Hau her ane, wannst di traust!“
Da sitze ich im kuschelig warmen Wohnzimmer, ein Nieselregen lässt draußen die Blätter rauschen, und bewundere deine Ausdauer, deine Kondition, deine Naturverbundenheit – ich hab schon Muskelkater, wenn ich 2x die Treppen steigen muss, ohne Rucksack.
Einfach großartig!
Ich spüre die körperliche Müdigkeit die von dir ausstrahlt förmlich, dunkle Schoko fürs Brain und Kasspatzen für die Wadeln haben mir in solchen Situationen immer geholfen! Körperlich wie geistig am Limit zu sein und dabei zu wissen es braucht noch an Energie, ist schon mächtig herausfordernd!
Und noch was! Ich lese kaum mehr diese anfängliche Leichtigkeit aus den Texten, ……..
„Und so leicht scheint mich Tirol nicht nach Innsbruck zu lassen und wie sehr sich Tirol bemüht mich im Finale noch zu beschäftigen“ und „der einzige Gasthof voll belegt“……sicher ist das alles anstrengend und zehrend bis dato gewesen, doch das Ziel rückt in greifbare Nähe und der Körper funktioniert und der Sommer war wettertechnisch fantastisch. Ich wünsche Dir auf den letzten km in deiner Heimat diesen Mut und die Motivation und vor allem die Leichtigkeit und Freude mit der Du Wien verlassen hast um den Weg Deines Herzens zu gehen. Lass los was beschwerlich ist und nimm was kommt und genieße diese Tage in der Natur und auf den Bergen. Und noch was: Tirol hat dich schon willkommen geheißen und treibt Dich anhand von belegten Hütten eh immer weiter! …….